Diskriminierung älterer Arbeitnehmer

Erwerbstaetigkeit_2.jpgEin 62-jähriger Arbeitnehmer mit einer Betriebszugehörigkeit von 34 Jahren ist weniger sozial schutzwürdig als ein 52-jähriger Arbeitnehmer mit einer Betriebszugehörigkeit von 21 Jahren bzw. als ein 55-jähriger Arbeitnehmer mit einer Betriebszugehörigkeit von 27 Jahren. Zu diesem Ergebnis kam das Landesarbeitsgericht Niedersachsen in seinem Urteil vom 23.05.2005 (Aktenzeichen 5 Sa 198/05). Es hatte in einem Fall zu entscheiden, in welchem einem 62-jährigen Arbeitnehmer mit einer Betriebszugehörigkeit von 34 Jahren aus betrieblichen Gründen gekündigt wurde. Der Arbeitnehmer wehrte sich gegen diese Kündigung, da diese seiner Ansicht nach nach Maßgabe des Kündigungsschutzgesetztes sozial ungerechtfertigt sei. Insbesondere sei er im Verhältnis zu den vergleichbaren Mitarbeitern (einem 52-jähriger Arbeitnehmer mit einer Betriebszugehörigkeit von 21 Jahren bzw. einem 55-jähriger Arbeitnehmer mit einer Betriebszugehörigkeit von 27 Jahren) sozial schutzwürdiger. Das Gericht entschied jedoch zu Gunsten des Arbeitgebers, da die Kündigung nicht nach § 1 Absatz 3 Kündigungsschutzgesetz(KSchG) sozial ungerechtfertigt sei, weil die soziale Auswahl zumindest keinen groben Auswahlfehler im Sinne des § 1 Absatz 5 KSchG enthalte.

§ 1 KSchG
(1) Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses gegenüber einem Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis in demselben Betrieb oder Unternehmen ohne Unterbrechung länger als sechs Monate bestanden hat, ist rechtsunwirksam, wenn sie sozial ungerechtfertigt ist.
(2) Sozial ungerechtfertigt ist die Kündigung, wenn sie nicht durch Gründe, die in der Person oder in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen, oder durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen, bedingt ist. Die Kündigung ist auch sozial ungerechtfertigt, wenn
1. in Betrieben des privaten Rechts
a) die Kündigung gegen eine Richtlinie nach § 95 des Betriebsverfassungsgesetzes verstößt,
b) der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in demselben Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens weiterbeschäftigt werden kann
und der Betriebsrat oder eine andere nach dem Betriebsverfassungsgesetz insoweit zuständige Vertretung der Arbeitnehmer aus einem dieser Gründe der Kündigung innerhalb der Frist des § 102 Abs. 2 Satz 1 des Betriebsverfassungsgesetzes schriftlich widersprochen hat,
2. in Betrieben und Verwaltungen des öffentlichen Rechts
a) die Kündigung gegen eine Richtlinie über die personelle Auswahl bei Kündigungen verstößt,
b) der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in derselben Dienststelle oder in einer anderen Dienststelle desselben Verwaltungszweigs an demselben Dienstort einschließlich seines Einzugsgebiets weiterbeschäftigt werden kann
und die zuständige Personalvertretung aus einem dieser Gründe fristgerecht gegen die Kündigung Einwendungen erhoben hat, es sei denn, daß die Stufenvertretung in der Verhandlung mit der übergeordneten Dienststelle die Einwendungen nicht aufrechterhalten hat.
Satz 2 gilt entsprechend, wenn die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers nach zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen oder eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers unter geänderten Arbeitsbedingungen möglich ist und der Arbeitnehmer sein Einverständnis hiermit erklärt hat. Der Arbeitgeber hat die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung bedingen.
(3) Ist einem Arbeitnehmer aus dringenden betrieblichen Erfordernissen im Sinne des Absatzes 2 gekündigt worden, so ist die Kündigung trotzdem sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat; auf Verlangen des Arbeitnehmers hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Gründe anzugeben, die zu der getroffenen sozialen Auswahl geführt haben. In die soziale Auswahl nach Satz 1 sind Arbeitnehmer nicht einzubeziehen, deren Weiterbeschäftigung, insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen oder zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebes, im berechtigten betrieblichen Interesse liegt. Der Arbeitnehmer hat die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung als sozial ungerechtfertigt im Sinne des Satzes 1 erscheinen lassen.
(4) Ist in einem Tarifvertrag, in einer Betriebsvereinbarung nach § 95 des Betriebsverfassungsgesetzes oder in einer entsprechenden Richtlinie nach den Personalvertretungsgesetzen festgelegt, wie die sozialen Gesichtspunkte nach Absatz 3 Satz 1 im Verhältnis zueinander zu bewerten sind, so kann die Bewertung nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden.
(5) Sind bei einer Kündigung auf Grund einer Betriebsänderung nach § 111 des Betriebsverfassungsgesetzes die Arbeitnehmer, denen gekündigt werden soll, in einem Interessenausgleich zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat namentlich bezeichnet, so wird vermutet, dass die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse im Sinne des Absatzes 2 bedingt ist. Die soziale Auswahl der Arbeitnehmer kann nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht, soweit sich die Sachlage nach Zustandekommen des Interessenausgleichs wesentlich geändert hat. Der Interessenausgleich nach Satz 1 ersetzt die Stellungnahme des Betriebsrates nach § 17 Abs. 3 Satz 2.

Grundsätzlich stelle zwar das Lebensalter einen maßgeblichen Gesichtspunkt bei der Auswahl des zu kündigenden Arbeitnehmers dar. Diese Bedeutung steige bei der derzeitigen Arbeitsmarktsituation sogar kontinuierlich an, weil es für einen älteren Arbeitnehmer schwierig sei, auf dem Arbeitsmarkt eine neue Beschäftigung zu finden. Die Bedeutung sinke aber, so das Gericht, mit zeitlicher Nähe zum Rentenalter wieder ab, wenn der Arbeitnehmer für diese Zwischenzeit durch Inanspruchnahme von Arbeitslosengeld, Altersteilzeit oder Rentenbezug nahtlos versorgt ist. Da in diesem Fall hier der 62-jährige Arbeitnehmer bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses und aufgrund seiner langen Berufszugehörigkeit die Möglichkeit habe, die Zeit bis zur Rente (Eintritt mit 65 Jahren) durch den Übergang in eine Beschäftigungsförderungsgesellschaft und anschließendem Bezug von Arbeitslosenhilfe zu überbrücken, sei die Kündigung im Verhältnis zu den Kollegen nicht sozial ungerechtfertigt. Bei den 52-jährigen bzw. 55 jährigen Arbeitnehmern würde eine Kündigung mit den schlechten Aussichten auf dem Arbeitsmarkt weitaus größere Probleme nach sich ziehen.