Die Verbindlichkeit einer Patientenverfügung: Für den Arzt

med_2.jpgIm Wesentlich stehen sich zwei Ansichten gegenüber.
Zum einen wird die Ansicht vertreten, dass die Patientenverfügung  die Kundgabe einer Willensrichtung bzw. einer „Richtungsentscheidung“  ist. Dabei wird sie als bloßes Indiz für den mutmaßlichen Willen des Patienten angesehen. 
Jedoch darf nicht außer Acht gelassen werden, dass der Patient gerade durch die Patientenverfügung seinen Wünschen und Vorstellungen über lebensverlängernde oder -verkürzende Maßnahmen äußern möchte. Er versucht, seine Erklärung inhaltlich zu antizipieren, was seinen niedergelegten Willen zu einem „wirklichen Willen“ und nicht nur zu einem „mutmaßlichen Willen“ macht. 
Des Weiteren wird diese Ansicht dadurch bejaht, dass beispielsweise ein junger, gesunder Mensch, welcher eine Patientenverfügung erstellt, noch nicht wissen kann, wie er sich im Alter oder bei Krankheit fühlt. In einigen Fällen wird sogar von unterschiedlichen Identitäten einer Person gesprochen.  Dabei sollen sich Menschen im Laufe ihres Lebens so sehr verändern, dass sie eine wesentliche Persönlichkeitsveränderung durchlaufen. Weiter wollen die Vertreter dieser Ansicht den Patienten nicht an eine einmal getroffene Entscheidung unbedingt binden. 
Allerdings wird dabei verkannt, dass ein Patient seine Patientenverfügung jederzeit mündlich widerrufen kann. Er ist also nicht zwingend an sie gebunden. Darüber hinaus ist es anmaßend, einem jungen Menschen zu unterstellen, dass er nicht weiß was er im Alter möchte. Dies stellt nicht nur einen Eingriff in sein Selbstbestimmungsrecht dar, sondern führt auch zu einer Verletzung seiner personellen Identität. Somit wäre es verfehlt, die Patientenverfügung als reines Indiz für den mutmaßlichen Willen zu sehen und diese Ansicht ist wenig überzeugend und im Ergebnis abzulehnen.
Zum anderen wird die Ansicht vertreten, dass eine Patientenverfügung für den Arzt stets bindend ist, sofern der Inhalt der Patientenverfügung auf die aktuelle Situation anwendbar ist und keinerlei Hinweise vorliegen, dass der Patient seine Verfügung widerrufen hat. 
Es kann und muss davon ausgegangen werden, dass ein Mensch, der sich dazu entschließt, eine Patientenverfügung zu verfassen, seine Entscheidung gut überdacht hat, und diese nicht aus einer Laune heraus getroffen hat. Es ist kein Grund ersichtlich, der es rechtfertigen würde, dass gegen den ausdrücklichen Willen des Patienten gewisse medizinische Maßnahmen durchgeführt werden.
Auch aus verfassungsrechtlicher Sicht steht das Selbstbestimmungsrecht des Patienten vor der Schutzpflicht des Staates auf Leben. Daher kann es nicht geboten sein, dass die Fremdbestimmung dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten Vorrang eingeräumt wird. Der niedergelegte Patientenwille darf nicht ignoriert werden und muss in allen Situationen umgesetzt werden. 
Daraus folgt, dass ein Arzt  an eine ihm vorliegende Patientenverfügung auch gebunden ist. Er ist verpflichtet, den Wünschen des Patienten nachzukommen, denn ihm steht kein eigenes Behandlungsrecht zu, was auch dadurch deutlich wird, dass jeder ärztliche Heileingriff ohne Einwilligung des Patienten eine Körperverletzung darstellt.
Auch der BGH hat in seiner Entscheidung im Jahre 2003 zu der Verbindlichkeit der Patientenverfügung eindeutig Stellung genommen.
„Ist ein Patient einwilligungsunfähig und hat sein Grundleiden einen irreversiblen tödlichen Verlauf angenommen, so müssen lebenserhaltende oder -verlängernde Maßnahmen unterbleiben, wenn dies seinem zuvor – etwa in Form einer so genannten Patientenverfügung – geäußerten Willen entspricht.“ 
Daher ist es dem Arzt auch nicht möglich, die Patientenverfügung zu umgehen, indem er sich evtl. auf seinen Arztvertrag oder sein Gewissen beruft. Dies hat der BGH in seiner Entscheidung im Jahre  2005 deutlich gemacht. So argumentierte der BGH: „Verlangt der Betreuer in Übereinstimmung mir dem behandelnden Arzt, dass die künstliche Ernährung des betreuten einwilligungsunfähigen Patienten eingestellt wird, so kann sich das Pflegeheim diesem Verlangen jedenfalls nicht den Heimvertrag entgegensetzten. Auch die Gewissenfreiheit des Pflegepersonals rechtfertigt für sich genommen die Fortsetzung der künstlichen Ernährung in einem solchen Fall nicht.“  Dies ist nicht nur auf das Pflegepersonal anwendbar, sondern auch auf den Arzt. Somit ist es ihm nicht möglich die Patientenverfügung zu umgehen sondern er ist an diese gebunden.