Wörtliches Vorlesen bei Nottestamenten

Gem. § 2055 III BGB muss der Text eines Nottestaments dem Testierenden wörtlich vorgelesen werden, eine lediglich sinngemäße Wiedergabe genügt insoweit nicht.

Im vorliegenden Fall musste das Landgericht Nürnberg-Fürth über die Wirksamkeit eines Nottestaments entscheiden. Insoweit hatte das Nachlassgericht einen beantragten Alleinerbschein der Beschwerten zu 1 mit Verweis auf die Unwirksamkeit des Nottestaments abgelehnt. Als Grund wurde die Nichteinhaltung von Formvorschriften angegeben. Die von der Beschwerten zu 1 gegen diese Entscheidung gerichtete Beschwerde hatte Erfolg. Der Erblasser, der an einer schweren Krebserkrankung litt, hatte nach ärztlicher Auskunft nur noch kurz zu leben. Da das Testament des Erblassers nicht mehr auffindbar war, errichtete die Beschwerte zu 1 am PC ein Testament, in welchem sie vom Erblasser, ihrem Ehemann, als Alleinerbin eingesetzt wurde. Dieses Schriftstück unterschrieb der Erblasser. Die diensthabende Ärztin nahm das Schriftstück zur Kenntnis und erläuterte dem Erblasser den Sachverhalt sinngemäß im Beisein von zwei Krankenschwestern. Der Erblasser bejahte, dass es sich hierbei um seinen letzten Willen handele und die Ärztin wie auch die Krankenschwestern unterzeichneten das Testament. Wenige Tage später verstarb der Erblasser. Nach Angaben der Beschwerten zu 1 hatten die Ehegatten bereits vor dem Krankenhausaufenthalt des Erblassers gleichlautende Testamente errichtet, in denen sie sich gegenseitig zu Alleinerben einsetzten. Da dieses Testament jedoch nicht mehr auffindbar war, wurde zur Sicherheit noch das Nottestament errichtet. Da das erste Testament nicht mehr auffindbar war, konnte ein von der gesetzlichen Erbfolge abweichender Erbschein auch nicht erstellt werden.

Im vorliegenden Fall war fraglich, ob das errichtete Nottestament den gesetzlichen Formvorschriften entsprach. Sinn und Zweck von Formvorschriften ist zunächst der Schutz des Erblassers. Er soll insoweit seine letztliche Verfügung nochmals genau überdenken. Des Weiteren haben Formvorschriften eine Beweisfunktion und dienen der Sicherstellung der Authentizität, Klarheit und Vollständigkeit der letztwilligen Verfügung. Für ein Drei-Zeugen-Testament nach § 2250 II, III BGB gelten besonders detaillierte Formvorschriften. Es ermöglicht dem Erblasser in naher Todesgefahr die Errichtung eines Testaments ohne eigenhändige Niederschrift. Zuerst muss der Erblasser seinen Willen in Gegenwart von drei Zeugen mündlich kundtun. Hier genügt die Übergabe eines Schreibens nicht. Anschließend muss eine Niederschrift unter Beachtung der in § 2250 III 2 BGB genannten Vorschriften des Beurkundungsgesetzes aufgenommen werden. Diese muss dem Erblasser schließlich vorgelesen und von ihm genehmigt werden. Unterschrieben werden muss die Niederschrift vom Erblasser und den Zeugen. Sollte ein anhand der Vorgaben des Erblassers vorbereiteter schriftlicher Entwurf verwendet werden, so können die mündliche Erklärung des Erblassers, Vorlesung und Genehmigung in einem Akt erfolgen. Dieser aufwändige Errichtungsvorgang soll insbesondere dem Schutz des Erblassers dienen.
Besondere Bedeutung hat die Beweisfunktion der Formvorschriften, wenn es nach dem Erbfall um die Erteilung eines Erbscheins geht. Zum Nachweis eines testamentarischen Erbrechts wird gem. §§ 2355, 2356 I 1 BGB grundsätzlich die Unterschrift der Urkunde verlangt. Für den Fall der Unwirksamkeit des Nottestaments stellte sich im vorliegenden Fall weiterhin die Frage, wie zu verfahren ist, wenn ein anderes wirksames Testament nicht mehr auffindbar ist.

Zutreffend stellte das Landgericht fest, dass das Nottestament nicht den gesetzlichen Formvorschriften gerecht wurde. Solange die Niederschrift vorgelesen und genehmigt wird, ist es unbedenklich, dass kein Vermerk über das Verlesen und die Genehmigung in die Niederschrift aufgenommen wurde. In der Beweisführung ergab sich jedoch, dass es gerade an einem Verlesen des Testamentstextes mangelte. Weder die Tatsache, dass die Erklärung dem Erblasser zur Durchsicht vorgelegt worden war, noch der Umstand, dass der Erblasser das Testament unterschrieben hatte, konnte diesen Mangel heilen. Die Unterschrift begründet insoweit nämlich nach § 2250 II BGB i. V. mit § 13 I 4 BeurkG, dass das darüber Stehende vorgelesen und genehmigt worden ist, was hier aber durch die Beweisaufnahme widerlegt worden war.

Das Landgericht kommt allerdings zu dem Ergebnis, dass sich die Alleinerbschaft der Beschwerten zu 1 aus dem bereits vorhandenen privatschriftlichen Testament ergibt. Generell sind alle zulässigen Beweismittel dazu geeignet, um den Erblasserwillen und dessen formgerechte Beurkundung nachzuweisen. Insoweit ist die Vorlage einer Testamentsurkunde nicht zwingend erforderlich. Vielmehr könne das Gericht die Überzeugung von dessen Errichtung auch durch die Aussage von Zeugen gewinnen. Weil Testamente üblicherweise sorgfältig aufbewahrt werden, sei bei Unauffindbarkeit eines solchen zwar Skepsis gegenüber den Beteiligten angebracht, da diese oft ein erhebliches Eigeninteresse verfolgen. Das Landgericht folgt hier jedoch insoweit der herrschenden Meinung, wonach die Errichtung und der Inhalt eines Testaments auch mit Hilfe anderer Beweismittel dargetan werden können. Jedoch sind dabei an die Beweise, in Anbetracht der Bedeutung eines Testaments, strenge Anforderungen zu stellen.

Im vorliegenden Fall war das Landgericht durch mehrere Zeugenaussagen zu der Überzeugung gelangt, dass der Erblasser tatsächlich ein privatschriftliches Testament mit dem behaupteten Inhalt verfasst hatte. Es waren keine konkreten Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Unauffindbarkeit der Testamentsurkunde als Indiz für einen Widerspruch zu werten sei. Ferner war auch nicht bekannt, dass der Erblasser die Urkunde vernichtet hatte. Insoweit griff auch die Vermutung des § 2255 S. 2 BGB für eine entsprechende Aufhebungsabsicht nicht. Aus diesen Gründen hatte die Beschwerde der Beschwerten zu 1 Erfolg.

Tanja Stier

Rechtsanwältin